Improvisation als Werkzeug für unendlich vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten aller Musikstile
Ich spiele aus dem Stegreif und schöpfe während des Improvisierens aus einer unsichtbaren Quelle. Scheinbar unvorbereitet, wie die Herkunft des Wortes aus dem Lateinischen („ex improviso“) irrtümlicherweise glauben macht. Eine konsistente Improvisation setzt im Gegenteil sehr viel voraus. So greifen Improvisierende meist auf bestimmte stilistische Formeln zurück, die sie im Zuge jahrelangem Umgang mit Musik unterschiedlicher Epochen verinnerlicht haben und abrufen können.
Sie spielen sich entlang spezifischer Ausformungen von Harmonik, Melodik und Rhythmus und entfernen sich unterschiedlich weit vom Ausgangspunkt. Soll Mozart ins Spiel kommen, wird der Alberti-Bass der linken Hand zum Muss. Bach gestaltet sich schwieriger, weil das Fugieren doch einiges an Technik voraussetzt. Schubert, Beethoven, Liszt sind dankbare Spender für improvisatorische Melodien.
Voraussetzung für das Improvisieren ist die absolute Beherrschung der Klaviertechnik
Diese wird innert Sekundenbruchteilen gefordert, soll die Improvisation das Überraschende beinhalten, soll die Magie dieser Ausdrucksform wirklich beim Zuhörer ankommen.
Gewissermassen erlebt die Improvisation am Klavier heute eine Renaissance, war es doch im 17. Und 18. Jahrhundert üblich, dass Pianisten mit dem Generalbass improvisieren mussten.
Die Improvisation war ein Lernfach, gab es doch nur spärliche Angaben auf den Partituren der Komponisten, was die Pianisten spielen sollten.
Der Abstieg aus dem Konzertsaal in die Salons der Gesellschaft
Im 19. Jahrhundert wuchs der Widerstand gegen den Interpreten, der sich gegenüber der Partitur improvisatorische Freiheiten herausnahm. Kadenzen wurden immer seltener improvisiert, der Komponist unterwarf auch die Solokadenz der Kontrolle durch den Autor. Franz Liszt war einer der letzten, der die Improvisation nochmals zur Blüte brachte. Dann war aber Schluss in öffentlichen Räumen, so dass die Improvisation nur noch in den Salons geduldet war.
Improvisation als Provokation
Der Jazz und seine Pioniere brachten die Praxis ins 20. Jahrhundert zurück. Mit ihr die Wertschätzung einer Kompetenz, die im Klassikbetrieb keinen Platz hatte. Allen voran der Pianist Friedrich Gulda, welcher als Provokateur galt. Er schockte sogar die Festspiele Salzburg mit seinen eigenwilligen Darbietungen von Improvisation. Historisch gesehen allerdings war dies ein kompetenter Startschuss für die Renaissance der Improvisation am Klavier.
Zurück in den Konzertsaal
Inzwischen hat sich die Improvisation im Konzertsaal zurückgemeldet. Zwei Namen prägen das aktuelle Geschehen. Fazil Say und Gabriela Montero. Auch unbekanntere Pianisten pflegen diese Ausdrucksart von spontaner Musik.
Der Schreibende hat schon immer improvisiert, hat sich an das Klavier gesetzt und ungezwungen je nach Stimmung dem Instrument neue Klänge entlockt. Auch meinen Klavierschülern habe ich die Kunst näher gebracht. Fleiss und Durchhaltevermögen sind jedoch Grundbedingung, dass auch Freude herrschen darf, wenn der Musikausübende improvisieren möchte. Gerade in unserer digitalen Zeit, wo wir uns mitten drin befinden, erachte ich es als wichtig, spontan und unvoreingenommen, gewissermassen aus dem Innern seiner Seele, Musik zu machen.
Wer möchte diese Kunst nicht näher kennenlernen? Ich bin bereit, diese Gabe weiterzugeben und dem Musikbegeisterten eine Grundlage zu geben, wie man mit solchen geistigen Höhenflügen Zufriedenheit erwirbt.
Bernhard Roth, Pianist
Engelburg, 22. August 2017